von Dr. med. Martin Ulbrich

Naturheilkunde und Naturheilverfahren

Naturheilkunde ist die Lehre von der Heilung von Krankheiten durch naturgegebene Einwirkungen.
Naturheilverfahren sind naturgegebene Therapiemethoden, die auf einer Anregung der individuellen körpereigenen Ordnungs- und Heilkräfte basieren.

Natur als Heilkraft

Im antiken Verständnis sah man die Natur selbst als Lebens- und Heilkraft: der Arzt hat den Kranken behandelt, geheilt aber hat die Natur: medicus curat, natura sanat

Tatsächlich wurden seit Menschengedenken Kranke mit natürlichen Heilfaktoren wie Wärme, Kälte, Erde, Wasser, Luft und Pflanzen behandelt, Naturheilmittel waren über Jahrtausende fester therapeutischer Bestandteil. Und bis ins 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung war die Naturheilkunde nicht getrennt von der wissenschaftlichen Medizin.

So ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff Naturheilverfahren erst Ende des 19. Jahrhunderts als Gegensatz zu der damals aufkommenden "Kunstheilung" (also beispielsweise der Heilung mittels künstlich hergestellter Substanzen) geprägt wurde.

Die verstärkte Hinwendung oder vielleicht besser: Rückbesinnung auf die Naturheilkunde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit Gründung vieler Naturheil- und Kneippvereinen führte paradoxerweise zu einer Polarisierung in der Medizin. Davon zeugen noch Begriffe wie Schulmedizin und Apparatemedizin und auf der anderen Seite "Erfahrungsheilkunde , "Alternativmedizin , "Sanfte Medizin , "Ganzheitsmedizin“ , "Regulationsmedizin".
Unabhängig von herablassender Einstellung oder gar begleitender Polemik manchen Verfechters anderen Verfahren gegenüber haben diese Begriffe aufgrund unscharfer Definitionen und vieler Überlappungen wenig zum Verständnis von theoretischem Hintergrund, Prinzipien und tatsächlichen therapeutischen Maßnahmen der jeweiligen Therapierichtung beigetragen.

Zur Jahrtausendwende haben sich jedoch die Wogen etwas geglättet, Therapierichtungen, die über Jahrzehnte von Hochschullehrern belächelt und abgelehnt worden waren, finden jetzt sogar im Lehrplan mancher medizinischen Fakultät ihre Berücksichtigung.
Sie unter "Komplementärmedizin“ zu subsummieren, erscheint plausibel, bedeutet dieser Begriff doch eine Ergänzung zu der wissenschaftlich etablierten und großenteils eben unverzichtbaren "konventionellen Medizin".

Klassische Naturheilverfahren

Sie sind die Naturheilverfahren im engeren Sinne und nutzen die Heilkraft der Natur, also Licht, Sonne, Wärme, Kälte, Luft, Erde, Wasser, Ernährung, Pflanzen, Bewegung und Massage.

Pfarrer Sebastian Kneipp hat sie abgewandelt als die:

Fünf Säulen der Gesundheit

  • Anwendung von Wasser: Hydro- und Balneotherapie
  • Ernährung: Diätetik, also angewandte Ernährungslehre
  • Heilpflanzen: Phytotherapie
  • Bewegungstherapie
  • Ordnungstherapie

Wasser

Wasser als Vermittler natürlicher Lebensreize steigert die Leistungsfähigkeit, regt die Abwehrkräfte an und verbessert die Durchblutung und das Körperbewusstsein. Vorbeugend und therapeutisch wirken die Wasseranwendungen harmonisierend auf das Nerven- und Hormonsystem sowie auch auf die Psyche. Wasseranwendungen nach Kneipp sind individuell und fein abstufbar und können exakt auf die jeweilige Person und Situation abgestimmt werden. Über den therapeutischen Nutzen hinaus wirken sich Wasseranwendungen auch positiv auf die Straffung des Gewebes aus und vermitteln Wohlbefinden.

Ernährung

"Du bist, was du isst". Einfach, aber wahr. Und diese einfache Wahrheit kannte auch Pfarrer Kneipp. Es ist eigentlich erstaunlich, wie Sebastian Kneipp schon zu seiner Zeit die Bedeutung der Ernährung erkannte und Regeln aufstellte, die heute längst von Ernährungswissenschaftlern bestätigt und belegt worden sind. Im Hinblick auf den dramatischen Anstieg von Zivilisationskrankheiten in den vergangenen Jahrzehnten könnte man Kneipps Aussagen zur Ernährung prophetisch nennen. Heute wissen wir, dass gesunde Ernährung viele Krankheiten vermeiden oder deren Verlauf günstig beeinflussen kann. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Einfluss der Ernährung auf Seele und Geist.

Heilpflanzen

Im Mittelalter wurden Naturprodukte wie verschiedene Salze und, ganz besonders auch innerhalb der "Klosterheilkunde", Heilpflanzen eingesetzt.
Pfarrer Kneipp hat dies aufgegriffen und empfahl die Anwendung von Heilkräutern, innerlich in Form von Tee oder Saft, äußerlich in Form von Salben, Ölen, Einreibungen oder Zusätzen zu Wickeln und Bädern. Heutzutage wird das Wissen um die Wirksamkeit von Heilkräutern, das zu Kneipps Zeiten ja auf Erfahrung beruhte, nach und nach wissenschaftlich erforscht.

Bewegung

Körperliche Aktivität, sinnvoll und dosiert angewendet, setzt angepasste Reize, um wichtige Funktionen unseres Körpers zu fördern und zu unterstützen. Der Bewegungsapparat, das Herzkreislaufsystem, die Verdauungsorgane oder das Nervensystem werden durch Bewegungstherapie gleichermaßen angesprochen wie auch die Psyche, auf die sie einen regulierenden Einfluss hat. Wir alle wissen: nach dem Sport fühlt man sich einfach besser.

Ordnung

Diese fünfte Säule wird auch Ordnungstherapie genannt, ein Begriff, der möglicherweise zunächst verwirrend wirken mag. Gemeint ist damit vieles, beispielsweise ein bewusster Lebensrhythmus, der eine ausgewogene, natürliche Lebensführung umfasst und der Einheit von Körper, Geist und Seele gerecht wird. Gemeint ist etwa auch, das richtige Maß zu finden: nicht zu viel Arbeit – aber auch nicht zu wenig; genug Erholung – aber kein Müßiggang; Geselligkeit – aber keine Exzesse; körperliche Betätigung – aber ohne Streben nach sportlichen Höchstleistungen; gute schmackhafte Nahrung – aber ohne Völlerei. Die Ordnungstherapie bezieht sich aber nicht nur auf den einzelnen, sondern meint auch das Miteinander der Menschen. So ruft sie uns zu Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Nächstenliebe auf und zum Streben nach einem respektvollen Umgang mit der Natur und sozialer Gerechtigkeit unter den Menschen.

Neue Naturheilkunde und neue Naturheilverfahren?

Im jüngeren Sprachgebrauch entziehen sich die Begriffe Naturheilverfahren und Naturheilkunde einer eindeutigen Definition. So bestehen einerseits teilweise weitgehende Überlappungen mit der "konventionellen" Medizin, die sich ebenfalls vieler natürlicher Verfahren wie Bewegungs-, Wärme- und Massagetherapie bedient und natürliche Substanzen wie Strophantin und Atropin einsetzt. Zum anderen haben sich auch Naturheilkundler gelegentlich therapeutischer Mittel bedient, die vom Menschen künstlich geschaffen sind, wie beispielsweise in der Neuraltherapie synthetisch hergestellter örtlicher Betäubungsmittel oder auch Akupunkturnadeln und Homöopathika.
Die Definition des Begriffes Naturheilverfahren ist also sehr weit gefasst worden und beinhaltet eine heterogene Gruppe von Verfahren. Die meisten Therapiemethoden gelten nicht als "klassische Naturheilverfahren“ und sind in verschiedenen Fachbereichen seit langem fester Bestandteil der herkömmlichen Therapien.

Naturheilverfahren im erweiterten Sinne

Hierunter ist also eine Fülle verschiedener Therapiemethoden zu verstehen.

Noch relativ nah an der Natur bewegen sich Therapieformen wie Aromatherapie, Bachblütentherapie, Edelsteintherapie, Farbtherapie; ihre Wirksamkeit gilt jedoch als noch nicht erwiesen

Außerdem wie erwähnt Homöopathie, Neuraltherapie, des weiteren Aderlass, Akupunktur, Anthroposophische Medizin, Atemtherapie, Autogenes Training, Ayurveda, Baunscheidtverfahren, Biomolekulare Therapie nach Doktor K.E. Theurer, Blutegelbehandlung, Bluttransfusion, Chelattherapie, Eigenblutbehandlung, Einläufe, Elektro- und Strahlentherapie einschließlich Lichttherapie und Magnetfeldtherapie, Entgiftungstherapie nach Doktor H. Roeder, Heilschlaf, Hypnose, Inhalationstherapie, Kompressen, Regulationsthermographie, Sauerstoff- und Ozontherapie, Serumtherapie nach Professor A.A. Bogomoletz, Suggestionstherapie nach Emile Coué, Verwendung von Schüßler-Salzen, Zelltherapie.
Hierzu ist anzumerken, dass Verfahren wie Aderlass, Atemtherapie, Autogenes Training, Blutegelbehandlung, Bluttransfusion, Eigenblutbehandlung, Einläufe und Strahlentherapie, meist in umschriebener Form, offiziell anerkannte, etablierte und angewandte Methoden darstellen; für die meisten der übrigen Verfahren fehlt bislang ein wissenschaftlich begründbarer Wirksamkeitsnachweis.

Naturheilverfahren in unserer Praxis

In unserer Praxis werden von den genannten Verfahren Aderlass, Eigenblutbehandlung, Heilfasten, Homöopathie, Krebstherapie mit Mistelpräparaten eingesetzt. Die klassische Kneippsche Hydrotherapie kann in umschriebener Form im häuslichen Bereich versucht werden, in intensiver Form wird sie Kuraufenthalten vorbehalten bleiben. Akupunktur, die ich seit 1999 eingesetzt habe, kann hier zur Zeit aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden.